Samstag, 7. Juni 2008

GNTM-Die andere Seite---

Hier ein sehr lesenswerter Artikel, den ich nachdenkenswert finde:



Warum Germany's Next Topmodel scheitern soll

Halb Deutschland hat bei der Wahl zum Topmodel mitgefiebert. Nun wartet die andere Hälfte auf den Absturz von Siegerin Jenny. Sie muss hämische Kommentare wie "Laufsteg-Roboter" einstecken. Und das nur, weil der deutsche Bildungsbürger seine risikoscheue Beamtenmentalität nicht ablegen kann.


Jennifer hat es geschafft, sie ist „Germany’s Next Topmodel“. Das Finale am Donnerstag zog seine Spannung nur noch aus der Frage, ob Heidi Klum sich vielleicht gerade deshalb für eine andere entscheiden würde, weil im Internet schon lange das Gerücht vom Sieg des 17-jährigen „Kükens“ kursierte.

Neben allen Gratulationen erwartet das kommende Topmodel jetzt eine ebenso starke Lawine hämischer Kommentare: „Laufsteg-Roboter“, hieß es schon am Freitag. Eine Gemeinde der Niederträchtigen hat sich versammelt, die sich den Niedergang eines Shootingstars im Teenageralter wünschen.

Diese kennt auch Thomas Godoj. Der Gewinner von „Deutschland sucht den Superstar“ („DSDS“) durfte nach seinem Sieg im „Spiegel“ lesen, wie es in den nächsten fünf Jahren kontinuierlich mit ihm bergab gehen wird. „In seiner Schrebergartensiedlung wird er mit drei Schäferhundrüden leben.“ Ein Hartz-IV-Empfänger, so die Botschaft, solle ja nicht wagen, seinem Elend zu entfliehen.

Der Bildungsbürger, der mit Grauen erlebt, wie Casting-Shows einen Zuschauerrekord nach dem anderen brechen, will diese Kunstfiguren des Medienbetriebs scheitern sehen. Machen RTL und ProSieben ihre Quote über die Shows, versuchen die Printmedien vor allem mit Häme zu punkten. Der Leser lernt dabei Folgendes: „DSDS“ bringt nie „echte“ Superstars hervor. Dieter Bohlen kann nicht singen. Er war ohnehin nie ein richtiger Super-Superstar.

Echt ist ein Model erst, wenn es auf der Straße entdeckt wird


Heidi Klum war auch niemals Topmodel im Sinne der Top-Topmodels. Mit „echten Stars“, „echten Topmodels“, „echter Musik“ und „echtem Laufsteg“ habe das ja alles gar nichts zu tun, befand der „Stern“ geschmackssicher. Echt ist ein Model erst, wenn es auf der Straße zufällig entdeckt wird. Und ein echter Sänger muss in der Wiege die Gitarre vom Uropa geschenkt bekommen haben.

Man könnte die Geschichte auch ganz anders sehen. Da ist ein 30-jähriger Arbeitsloser, der schon immer Musik machen wollte und jetzt vielleicht nur für eine kurze Zeit – aber immerhin – die Möglichkeit hat, sich diesen Traum zu erfüllen. Ein Mann, der Dinge erleben wird, zu denen er sonst nie die Chance gehabt hätte, der Geld verdienen, reisen, unendlich viele Erfahrung machen kann.

Wenn er dumm ist, verschwendet er sein ganzes Geld und ist in ein paar Jahren der verbitterte Verlierer, wie es so viele gern sehen würden. Ist er klüger, genießt er die Zeit, holt raus, was immer rauszuholen ist, und danach geht es ihm weiter gut. Ist Variante eins allein schon ein Grund, es nie wirklich zu versuchen? Hätte er lieber weiter jahrzehntelang die Schlange im Arbeitsamt gefüllt?

Ähnlich sieht es bei Jennifer aus. Wenn sie Glück hat, dauert ihr Ruhm länger als die einer Miss Irgendwas, und sie wird mal mehr, mal weniger im Modelgeschäft verdienen, auch ohne dass sie eine zweite Cindy Crawford wird. Hat sie Pech, erlebt sie ein pralles Jahr in ihrem Leben und geht dann den Weg zur Berufschule. Hätte sie es deswegen nicht versuchen sollen?

Wer nicht von der Pike auf den geraden Weg geht, ist suspekt

Das Bildungsbürgertum liebt solche Aufsteiger nicht. „Neureich“ ist immer noch ein Schimpfwort, und wer nicht von der „Pike“ auf den geraden Weg geht, ist suspekt – genauso wie die Teilnahme an einer Castingshow: Sie verlangt, Risikoscheu und Versicherungsmentalität abzulegen. Kurzer Ruhm und danach folgende Neuorientierung wird nicht als Chance oder einmalige Erfahrung, sondern als Scheitern interpretiert.

Alle Sänger, Models, Schauspieler, die nicht mehr ganz oben sind, werden sofort abfällig zur B-Prominenz und als „abgehalftert“ klassifiziert. Es ist die gleiche Mentalität, weshalb die Bürger vom Staat die Absicherung aller Lebensrisiken verlangen und in der Wirtschaft der echte Unternehmergeist, der Wille zur Selbstständigkeit fehlt. Es ist der gleiche Grund, warum ein Unternehmer nach einer Pleite in den USA als Mann mit Erfahrung geschätzt, in Deutschland als Verlierer mit ewig währendem Stigma behandelt wird.

Lieber arm und sicher nichts erleben, als einmal den Schritt ins Risiko zu gehen. Scheitern als Chance, für die Deutschen bleibt das völlig unverständlich. Damit sich daran nichts ändert, sollen das auch die Jugendlichen so sehen, die von den vielen Casting-Shows so schrecklich verdorben sind. Wie soll man seine modesüchtige Tochter noch vom Nutzen einer klassischen Schulbildung überzeugen? Vielleicht gerade indem sie sich die Sendungen anschaut.

Sie müssen scheitern, damit die Beamtenmentalität weiter leben kann
Zumindest „DSDS“ und die Heidi-Show sollten deutlich zeigen, wie schwer der Weg auch nur zum Sieg einer Castingshow ohne Stardauergarantie ist. Aber selbst für diese Form der Erziehung werden Bohlen, Klum und Co. kritisiert. Die Notwendigkeit, Ellenbogen auszufahren, wie das vor Klum wohl noch niemand so deutlich gemacht hat, als sie den Frauen klarmachte, dass es nur ein Ticket an die Spitze gibt, mag man ebenfalls in deutschen Landen nicht. Denn Wettbewerb verdirbt im wohlfahrtsstaatlichen Traumland immer noch den Charakter.

Thomas, Jennifer und all die anderen müssen scheitern, damit die risikoscheue Beamtenmentalität weiter leben darf. Was nicht für ewig währt, ist schlecht, auch wenn das längst den Realitäten des Lebens widerspricht, in der die globalisierte Wirtschaft ständigen Arbeitsplatzwechsel und lebenslanges Lernen verlangt. Im Zuschauergewinnspiel bei ProSieben wurde gefragt, ob die Siegerin der Sendung a) einen Bausparvertrag oder b) einen Modelvertrag gewinnt. Bei „Stern-Online“ schrieb die Journalistin dazu: „Vielleicht wäre Jennifer auf Dauer mit Antwort a besser geholfen.“


Artikel vom 7. Juni 2008 gelesen auf AOL

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